12. August 2008

Friedemann Winklhofer über Karl Richters Klangvorstellung an der Orgel

Karl Richters Vorstellung vom Orgelklang war immer sehr farbig, sowohl bei den solistischen Auftritten wie auch am Continuo. Das Continuo musste immer gut hörbar sein, er wollte die Orgel sehr deutlich haben, sie sollte in den Arien, aber vor allem in den großen Turba-Chören der Passionen und den Chorfugen der h-moll-Messe und der Kantaten präsent sein und dem Chor Farbe geben. Je größer die Orgel war, an der man Continuo spielte, umso mehr konnte man ihn mit einer farbigen Registrierung erfreuen. Bei kleineren Orgel-Positiven hat Richter den Klang oft selbst ausprobiert und einem seine Vorstellungen deutlich gemacht.



Friedemann Winklhofer im Jahre 1977

Da erinnere ich mich an meine erste h-moll-Messe in München, wo im Gegensatz zur romantischen Schaffhauser Orgel nur ein Positiv zur Verfügung stand. Immer wenn Richter mit meiner Klangvorstellung nicht ganz einverstanden war, kam er bei weiterlaufender Probe durch das Orchester zu mir ans Positiv und sagte mir, wie und in welcher Lage er diese Stelle gerne hätte. Das war für ihn schon etwas außergewöhnlich, denn der Orgelspieler war bei ihm, der ja selber ein großartiger Organist war, immer in der „Schusslinie". Meine Kolleginnen und Kollegen haben da schon manchmal einiges abbekommen. Bei mir war er erstaunlicherweise sehr hilfsbereit, was auch den Leuten vom Orchester aufgefallen ist.



Friedemann Winklhofer mit Leonard Bernstein bei der Probe in der Münchner Musikhochschule anlässlich des Gedenkkonzertes für Karl Richter am 3. Mai 1981


Ich habe Karl Richter oft an großen Orgeln wie im Herkulessaal oder in der Markuskirche gehört, und es war immer ein Erlebnis, ganz gleich wie das Konzert war. Sicherlich hatte er auch manchmal schlechte Abende und hat gelegentlich auch Stellen „in den Sand gesetzt". Es war aber immer - Rauskommen ist leicht, aber das Wieder-Reinkommen ist das Schwierige - faszinierend, wie er das überbrücken konnte. Wer die Stücke nicht genau kannte, hat meist gar nicht gemerkt, dass dann auch ein wenig Improvisation dabei war.

Richter hat ja alles auswendig gespielt, ob das die sechs Triosonaten waren, die großen Bach-Werke, oder Reger B-A-C-H, oder auch Liszt B-A-C-H. Es gab damals in Europa kaum Konzertorganisten, die alles auswendig gespielt haben. Für mich war das unglaublich mitreißend, mitzuerleben, wie Richter alles auswendig gespielt und selbst registriert hat, mit einer Selbstverständlichkeit, wie das sonst nur Konzertpianisten geboten haben.



Friedemann Winklhofer beim Interview am 1. August 2005 in der Johanniskirche Ansbach


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Alle Interviews mit den Zeitzeugen (26 Vokal- und Instrumentalsolisten) sind auf 10 DVDs zum Preis von Euro 150,00 erhältlich, ebenfalls nur bei Conventus Musicus per E-Mail.